Liebe Freundinnen und Freunde von Kinder in Rio,
ja, ich gebe es zu, Rio de Janeiro war bis 1976 ein weißer Fleck auf meiner Landkarte. Doch heute ist es mir ebenso wie Oberhausen ein Stück Heimat. Am 31. August war mein letzter Arbeitstag – nach 40 Jahren für Kinder in Rio bin ich in den Ruhestand gegangen. Was ursprünglich mal ein Job war, um mir etwas dazuzuverdienen, ist zu einer Lebensaufgabe geworden. So viele Kinder und Familien, die mir in Brasilien ans Herz gewachsen sind. Aber auch die vielen Menschen in Oberhausen, die den Verein von Anfang an unterstützt haben, werden mir in Erinnerung bleiben. Danke, liebe Förderinnen und Förderer, dass Sie uns die ganze Zeit über so treu zur Seite gestanden haben.
Was mich in all den Jahren immer wieder besonders tief berührt und beeindruckt hat, sind die oftmals alleinerziehenden Mütter in Brasilien, die schwere Schicksalsschläge erleiden, sich unter schwierigsten Bedingungen durchs Leben kämpfen und ohne selbst genug zum Leben zu haben, trotzdem noch mit aller verbliebenen Kraft für ihre Kinder da sind und häufig noch anderen Obdach schenken.
So wie Jenifer. Als Kind war sie in Drogengeschäfte verwickelt. Als sie zum ersten Mal schwanger wurde, wollte sie ihr Baby vor der ihr nur allzu gut bekannten Gewalt und Willkür der Drogenwelt schützen. Sie beschloss, zusammen mit ihrem Freund, dieses Leben hinter sich zu lassen. Das junge Paar erhielt daraufhin Morddrohungen. Kurze Zeit später wurde ihr Freund tot aufgefunden. Der kleine Ellyfer kam zur Welt, ohne seinen Vater jemals kennengelernt zu haben.
Der Vater ihres zweiten Sohnes Gabryell verließ die junge Mutter von einem Tag auf den anderen. Beide Kinder leiden unter der Hyperaktivitätsstörung ADHS und haben eine Lernschwäche. Ellyfer hat zusätzlich Asthma, eine schwere Lebensmittelallergie und eine starke Hornhautverkrümmung.
Gabryell erkrankte an Tuberkulose und benötigte lange Zeit medizinische Begleitung.
Bei der Unwetterkatastrophe 2011 in Nova Friburgo starb dann Jenifers Schwester, die ihre 7-jährige Tochter Miriam hinterließ. Ohne zu wissen, wie sie sich und die Kinder durchbringen soll, zögerte Jenifer nicht einen Moment, das kleine Mädchen bei sich aufzunehmen.
Wegen der gesundheitlichen Situation ihrer Söhne kann Jenifer nur sehr eingeschränkt arbeiten. Dennoch versucht sie, mit selbstgemachtem Kunsthandwerk und Maniküre etwas Geld zu verdienen. Mit Hilfe unserer Sozialarbeiter konnte Jenifer den Anspruch ihres Sohnes auf staatliche Sozialleistungen, aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen, durchsetzen. Doch auch diese Rente reicht nicht aus, um für ihre Kinder zu sorgen. Unsere Familienhilfe steht ihr deswegen weiter beratend zur Seite, unterstützt sie mit Nahrungsmitteln, Schulmaterial, Kleidung und Medikamenten und übernimmt kostenpflichtige Arztbesuche.
Jenifer ist erst 29 Jahre alt. Trotz aller Schwierigkeiten jammert oder beschwert sie sich nicht über ihre Situation, sondern versucht diese so gut es geht zu meistern. Ihre Geschichte hat mich sehr bewegt. Von wem könnte man eindrücklicher lernen, zu vertrauen, zu hoffen und zu teilen. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam Müttern wie Jenifer dabei helfen, ihre Zuversicht und ihren Mut zu behalten. Denn sie sind es, die ihren Kindern ein Zuhause geben, in dem sie Geborgenheit und Fürsorge bekommen.
Liebe Freundinnen und Freunde von Kinder in Rio, ich habe immer wieder gesehen, dass wir schon mit so wenig einer Familie in schier aussichtsloser Situation Selbstvertrauen und Hoffnung geben können. Und was könnte man zum Weihnachtsfest Schöneres verschenken, als diese elementaren Werte.
Die Anzahl von Familien, die wie Jenifer Hilfe brauchen, wächst in Brasilien rasant. Sollten Sie Interesse an einer dauerhaften Unterstützung haben, haben Sie bei Kinder in Rio die Möglichkeit, gezielt unser Projekt der Familienhilfe zu unterstützen. Nur mit Hilfe dieser regelmäßigen Zuwendungen können wir dieses wichtige Projekt aufrechterhalten.
Ich werde mich weiterhin als ehrenamtliches Vereinsmitglied für die Kinder in Rio und ihre Familien einsetzen. Und ich würde mich sehr freuen, wenn auch Sie weiter treu an unserer Seite bleiben.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes und gesegnetes Weihnachtsfest und verbleibe mit einem herzlichen Dank!
Martin Krumscheid >> Weihnachtsbrief-Download